Als der Roman Plattform im Sommer letzten Jahres in
Frankreich erschien war er die Sensation. Seit wenigen Wochen
liegt die deutsche Übersetzung vor. Im Feuilleton aller großen
Tages- und Wochenzeitungen erschienen seitenlange Rezensionen.
Der Autor von Elementarteilchen und Ausweitung
der Kampfzone war 1999 der Star der Frankfurter Buchmesse.
Kein anderer Schriftsteller ist in den letzten Jahren mit so vielen
Größen der Literaturgeschichte verglichen worden wie
er. Die Rede ist von Michel Houllebecq. In seinem neuen Bestseller
Plattform interessiert neben anderem vor allem die
Stelle, in der über den TUI- Vorstandsvorsitzenden berichtet
wird. Alles nur Fiktion oder eine Enthüllungsstory?
Das Zittern beginnt!
Kommentar Karl Born:
Der Inhalt der Geschichte ist schnell erzählt. Ehemalige
Mitarbeiter von Nouvelles Frontiers suchen für ihren Arbeitgeber,
den Touristikkonzern Aurore, nach Gründen für die nachlassende
Buchungsbereitschaft der potenziellen (im weiteren Verlauf des
Romans macht die bislang so gewöhnungsbedürftige neue
Rechtschreibung dieses Wortes sogar Sinn) Urlauber. Als Ursache
glauben sie fehlende Sexabenteuer im Urlaub zu erkennen. Zitat:
Es ist vor allem das [Anm.: gemeint ist Sexabenteuer], was
ihnen fehlt. Wenn sie während des Urlaubs nicht ihr kleines
Abenteuer hatten, fahren sie enttäuscht nach Hause. Sie trauen
sich vielleicht nicht, es zuzugeben; aber beim nächsten Mal
wechseln sie den Veranstalter. Eine etwas überraschende
Begründung für die generell geringe Markenbindung im
Tourismus.
Um diesem Problem zu begegnen, beschließt das Management
neue Clubs zu gründen, die sog. Aphrodite-Clubs, in denen
Prostitution nicht nur geduldet, sondern aktiv gefördert
werden soll. Werbeslogan im Club Eldorado Aphrodite: Weil
wir das Recht haben, uns zu vergnügen.
Um diese Clubs auch in Deutschland anbieten zu können (nicht
zu vergessen der TUI-Slogan zu jener Zeit: Sie haben es
sich verdient), wird ein Treffen mit dem TUI-Vorstandsvorsitzenden
arrangiert. Das liest sich im Roman wie folgt: Der TUI-Vorstandsvorsitzende
Gottfried Rembke war untersetzt, kräftig, hatte eine Schädelglatze,
einen offenen Blick und einen energischen Händedruck. Er
war der Inbegriff eines gewandten, dynamischen Mannes und entsprach
völlig dem Bild, das man sich von einem großen deutschen
Unternehmer macht.
Erste Entspannung für die TUI-Presseabteilung? Es gab Ende
der Neunziger-Jahre weder einen TUI-Vorstandsvorsitzenden noch
einen anderen TUI-Vorstand mit Glatze. Kurzum, es sieht sehr nach
Fiktion aus, aber jeder Erzähltext hat eine Beziehung zur
Realität und Houllebecq beglückt den Leser neben viel
Pornografie mit profunden Kenntnissen aus der Touristik. Auch
in der Beschreibung seiner Romanpersonen ist Houllebecq nicht
zimperlich. Den Chef von Nouvelles Frontiers, Jacques Maillot,
benennt er mit seinem richtigen Namen und charakterisiert ihn
als ein hartherziges scheinheiliges Arschloch.
Zur Sicherheit soll nochmals nach anderen Hinweisen auf den TUI-Vorstand
im Roman gesucht werden. An einer Stelle kann man lesen, dass
er ein Haus in Frankreich habe und Mercedes fährt.
Einen TUI-Vorstand auf den diese Beschreibung passt, gab es in
der Tat, allerdings bin ich mir sicher, dass er einen solchen
Vertrag nie abgeschlossen hätte.
Bleibt zuletzt das beliebte Buchstabenschütteln, wie es für
Schlüsselromane nicht untypisch ist. Wie kann man Rembke
schütteln, damit ein bekannter Name daraus wird. Na ja, bis
auf einen Buchstaben könnte man daraus leicht den Namen eines
TUI-Direktors machen, der insbesondere für Auslandskontakte
zuständig war. Sollte dieser Bursche sich in Frankreich als
TUI- Vorstandsvorsitzender ausgegeben haben? Nein, hätte
er nie gemacht (zur Sicherheit rufe ich ihn nochmals an).
Wir können beruhigt feststellen, der TUI-Vorstandsvorsitzende
in Plattform ist nur Fiktion!
Unabhängig davon findet man im Roman einige
köstliche Bonmots. In der Berichterstattung über die
Eröffnung des ersten Aphrodite-Clubs kann man lesen:
Der Chef der TUI hatte auch nicht kommen können, aber
er hatte einen Untergebenen hergeschickt, der offensichtlich keine
Macht besaß, sich
aber über das unverhoffte Glück sehr zu freuen schien.
Mehr Grund zum Ärgern hätte bei Thomas Cook der Produktmanager
für die Marke Neckermann. Der Romanheld ist sehr unzufrieden
mit der Qualität seiner nordafrikanischen Hotels und möchte
diese gerne verkaufen. Auf die Frage an ihn, ob er Kaufangebote
habe, antwortet er: Seltsamerweise ja, Neckermann ist interessiert.
Eines ist klar: Als Ersatz für Rudi Völler´s Neckermann
macht`s möglich taugt Houllebecq nicht.
Die Süddeutsche Zeitung schreibt im Feuilleton:
Der Roman ist auf radikale Weise politisch inkorrekt [Anm.:
gemeint ist u.a. die Idealisierung des Themas bezahlter Sex mit
Einheimischen]. Aber Political Correctness sei noch nie ein Kriterium
für Literatur gewesen. Literatur habe schon immer Grenzen
überschritten und Konventionen verletzt.
Deshalb sei hier deutlich angemerkt: Nicht nur TUI, sondern alle
deutschen Reiseveranstalter haben seit mehr als einem Jahrzehnt
nicht nur alle versteckten Hinweise auf Sextourismus aus ihren
Katalogen entfernt, sondern Hotels, die sich nicht daran gehalten
haben, rigoros aus ihrem Angebot gestrichen. Und das soll auch
in Zukunft so bleiben. Diese Art Clubs dürfen kein Marktsegment
mit Zukunft werden. Außerdem jammern die Veranstalter heute
schon über die gestiegene Beschwerdebereitschaft der Urlauber
und die damit verbundenen Schadenersatzforderungen. Wenn dann
auch Forderungen für nicht gehaltene Sexversprechen hinzukommen
würden, dann gute Nacht. Und wer will das beurteilen?
Was die Urlauber allerdings für Ideen haben,
um miteinander einen glücklichen (und erinnernswerten) Urlaub
zu verleben, soll weiterhin deren Sache bleiben. Letztes Zitat
von Houllebecq: 100 Millionen Menschen in der westlichen
Welt haben alles, was sie sich wünschen, außer dass
sie keine sexuelle Befriedigung mehr finden.
Auch in diesem Punkt irrt der Autor (habe ich mir erzählen
lassen).
Im übrigen haben wir ein viel wichtigeres S-Thema.
In Zukunft wird man von den fünf S sprechen:
Sonne, Strand, See, Sex und Spätbuchen.
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