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04.03.2002 - Die vier S der Touristen: Sonne, Strand, See und Sex


Als der Roman „Plattform“ im Sommer letzten Jahres in Frankreich erschien war er die Sensation. Seit wenigen Wochen liegt die deutsche Übersetzung vor. Im Feuilleton aller großen Tages- und Wochenzeitungen erschienen seitenlange Rezensionen. Der Autor von „Elementarteilchen“ und „Ausweitung der Kampfzone“ war 1999 der Star der Frankfurter Buchmesse. Kein anderer Schriftsteller ist in den letzten Jahren mit so vielen Größen der Literaturgeschichte verglichen worden wie er. Die Rede ist von Michel Houllebecq. In seinem neuen Bestseller „Plattform“ interessiert neben anderem vor allem die Stelle, in der über den TUI- Vorstandsvorsitzenden berichtet wird. Alles nur Fiktion oder eine Enthüllungsstory?
Das Zittern beginnt!

Kommentar Karl Born:
Der Inhalt der Geschichte ist schnell erzählt. Ehemalige Mitarbeiter von Nouvelles Frontiers suchen für ihren Arbeitgeber, den Touristikkonzern Aurore, nach Gründen für die nachlassende Buchungsbereitschaft der potenziellen (im weiteren Verlauf des Romans macht die bislang so gewöhnungsbedürftige neue Rechtschreibung dieses Wortes sogar Sinn) Urlauber. Als Ursache glauben sie fehlende Sexabenteuer im Urlaub zu erkennen. Zitat: „Es ist vor allem das [Anm.: gemeint ist Sexabenteuer], was ihnen fehlt. Wenn sie während des Urlaubs nicht ihr kleines Abenteuer hatten, fahren sie enttäuscht nach Hause. Sie trauen sich vielleicht nicht, es zuzugeben; aber beim nächsten Mal wechseln sie den Veranstalter.“ Eine etwas überraschende Begründung für die generell geringe Markenbindung im Tourismus.
Um diesem Problem zu begegnen, beschließt das Management neue Clubs zu gründen, die sog. Aphrodite-Clubs, in denen Prostitution nicht nur geduldet, sondern aktiv gefördert werden soll. Werbeslogan im Club Eldorado Aphrodite: „Weil wir das Recht haben, uns zu vergnügen“.
Um diese Clubs auch in Deutschland anbieten zu können (nicht zu vergessen der TUI-Slogan zu jener Zeit: „Sie haben es sich verdient“), wird ein Treffen mit dem TUI-Vorstandsvorsitzenden arrangiert. Das liest sich im Roman wie folgt: „Der TUI-Vorstandsvorsitzende Gottfried Rembke war untersetzt, kräftig, hatte eine Schädelglatze, einen offenen Blick und einen energischen Händedruck. Er war der Inbegriff eines gewandten, dynamischen Mannes und entsprach völlig dem Bild, das man sich von einem großen deutschen
Unternehmer macht.“
Erste Entspannung für die TUI-Presseabteilung? Es gab Ende der Neunziger-Jahre weder einen TUI-Vorstandsvorsitzenden noch einen anderen TUI-Vorstand mit Glatze. Kurzum, es sieht sehr nach Fiktion aus, aber jeder Erzähltext hat eine Beziehung zur Realität und Houllebecq beglückt den Leser neben viel Pornografie mit profunden Kenntnissen aus der Touristik. Auch in der Beschreibung seiner Romanpersonen ist Houllebecq nicht zimperlich. Den Chef von Nouvelles Frontiers, Jacques Maillot, benennt er mit seinem richtigen Namen und charakterisiert ihn als „ein hartherziges scheinheiliges Arschloch“.
Zur Sicherheit soll nochmals nach anderen Hinweisen auf den TUI-Vorstand im Roman gesucht werden. An einer Stelle kann man lesen, dass „er ein Haus in Frankreich habe und Mercedes fährt“. Einen TUI-Vorstand auf den diese Beschreibung passt, gab es in der Tat, allerdings bin ich mir sicher, dass er einen solchen Vertrag nie abgeschlossen hätte.
Bleibt zuletzt das beliebte Buchstabenschütteln, wie es für Schlüsselromane nicht untypisch ist. Wie kann man Rembke schütteln, damit ein bekannter Name daraus wird. Na ja, bis auf einen Buchstaben könnte man daraus leicht den Namen eines TUI-Direktors machen, der insbesondere für Auslandskontakte zuständig war. Sollte dieser Bursche sich in Frankreich als TUI- Vorstandsvorsitzender ausgegeben haben? Nein, hätte er nie gemacht (zur Sicherheit rufe ich ihn nochmals an).
Wir können beruhigt feststellen, der TUI-Vorstandsvorsitzende in „Plattform“ ist nur Fiktion!

Unabhängig davon findet man im Roman einige köstliche Bonmots. In der Berichterstattung über die Eröffnung des ersten Aphrodite-Clubs kann man lesen:
„Der Chef der TUI hatte auch nicht kommen können, aber er hatte einen Untergebenen hergeschickt, der offensichtlich keine Macht besaß, sich
aber über das unverhoffte Glück sehr zu freuen schien.“
Mehr Grund zum Ärgern hätte bei Thomas Cook der Produktmanager für die Marke Neckermann. Der Romanheld ist sehr unzufrieden mit der Qualität seiner nordafrikanischen Hotels und möchte diese gerne verkaufen. Auf die Frage an ihn, ob er Kaufangebote habe, antwortet er: „Seltsamerweise ja, Neckermann ist interessiert.“ Eines ist klar: Als Ersatz für Rudi Völler´s „Neckermann macht`s möglich“ taugt Houllebecq nicht.

Die Süddeutsche Zeitung schreibt im Feuilleton: „Der Roman ist auf radikale Weise politisch inkorrekt [Anm.: gemeint ist u.a. die Idealisierung des Themas bezahlter Sex mit Einheimischen]. Aber Political Correctness sei noch nie ein Kriterium für Literatur gewesen. Literatur habe schon immer Grenzen überschritten und Konventionen verletzt.“
Deshalb sei hier deutlich angemerkt: Nicht nur TUI, sondern alle deutschen Reiseveranstalter haben seit mehr als einem Jahrzehnt nicht nur alle versteckten Hinweise auf Sextourismus aus ihren Katalogen entfernt, sondern Hotels, die sich nicht daran gehalten haben, rigoros aus ihrem Angebot gestrichen. Und das soll auch in Zukunft so bleiben. Diese Art Clubs dürfen kein Marktsegment mit Zukunft werden. Außerdem jammern die Veranstalter heute schon über die gestiegene Beschwerdebereitschaft der Urlauber und die damit verbundenen Schadenersatzforderungen. Wenn dann auch Forderungen für nicht gehaltene Sexversprechen hinzukommen würden, dann gute Nacht. Und wer will das beurteilen?

Was die Urlauber allerdings für Ideen haben, um miteinander einen glücklichen (und erinnernswerten) Urlaub zu verleben, soll weiterhin deren Sache bleiben. Letztes Zitat von Houllebecq: „100 Millionen Menschen in der westlichen Welt haben alles, was sie sich wünschen, außer dass sie keine sexuelle Befriedigung mehr finden.“
Auch in diesem Punkt irrt der Autor (habe ich mir erzählen lassen).

Im übrigen haben wir ein viel wichtigeres „S“-Thema. In Zukunft wird man von den fünf „S“ sprechen: Sonne, Strand, See, Sex und Spätbuchen.

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